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Urteil Versicherungsgericht (SG - AHV-H 2011/3)

Zusammenfassung des Urteils AHV-H 2011/3: Versicherungsgericht

A. A. wurde am 11. Mai 2011 zur Hilflosenentschädigung der AHV angemeldet, da sie in allen massgebenden Lebensverrichtungen auf Hilfe Dritter angewiesen ist. Nach Einsprachen erhielt sie schliesslich ab 1. April 2011 eine Hilflosenentschädigung mittleren Grades. Eine weitere Einsprache wurde abgewiesen, da die Versicherte nicht in allen Lebensbereichen als hilflos eingestuft wurde. Nach weiteren Einsprachen und Abklärungen wurde ihr schliesslich ab 1. Januar 2012 eine Entschädigung bei schwerer Hilflosigkeit zugesprochen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AHV-H 2011/3

Kanton:SG
Fallnummer:AHV-H 2011/3
Instanz:Versicherungsgericht
Abteilung:AHV - Alters- und Hinterlassenenversicherung
Versicherungsgericht Entscheid AHV-H 2011/3 vom 15.03.2012 (SG)
Datum:15.03.2012
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Entscheid Art. 43bis Abs. 1 AHVG und Art. 37 Abs. 1 IVV: Hilflosigkeit mittleren Grades bejaht (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 15. März 2012, AHV-H 2011/3).Präsidentin Karin Huber-Studerus, Versicherungsrichterin Monika Gehrer-Hug,a.o. Versicherungsrichter Christian Zingg; a.o. Gerichtsschreiberin Annina BaltisserEntscheid vom 15. März 2012in SachenA. Beschwerdeführerin,vertreten durch
Schlagwörter: Hilflos; Lebensverrichtung; Hilflosigkeit; Hilfe; Hilflosenentschädigung; Lebensverrichtungen; Einsprache; Notdurft; Essen; Überwachung; Person; Grades; Verrichten; Verfügung; Vertreter; Anfang; Anspruch; Schwindel; Akten; Tochter
Rechtsnorm: Art. 24 ATSG ;Art. 46 AHVG ;
Referenz BGE:121 V 90;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AHV-H 2011/3

B. ,gegenSozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen,

Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, Postfach,

9016 St. Gallen,Beschwerdegegnerin,betreffendHilflosenentschädigung zur

AHVSachverhalt:

A.

    1. A. , wurde am 11. Mai 2011 durch ihren Schwiegersohn, B. , zum Bezug einer Hilflosenentschädigung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) angemeldet. Dieser gab an, die Versicherte sei in allen massgebenden Lebensverrichtungen auf Hilfe Dritter angewiesen. Sie müsse seit ca. 2005 zunehmend und seit mindestens Januar 2009 tagsüber gänzlich überwacht werden (act. G 3.1.43). Der Hausarzt der Versicherten, Dr. med. C. , Facharzt FMH für Chirurgie, stellte im Wesentlichen folgende Diagnosen: Koronare Herzkrankheit, Hypertonie, biventrikuläre Herzinsuffizienz, Status nach Myokardinfarkt ca. 1975, chronische Niereninsuffizienz, Demenz gemischter Aetiologie, Schwindel, Hypothyreose, Urininkontinenz, S-Skoliose BWS/LWS, Astigmatismus, Presbyopie und Status nach gamma Nagel wegen pertrochantärer Femurfraktur rechts am 26. Dezember 2010. Die Angaben zur Hilflosigkeit in der Anmeldung würden sich mit seinen erhobenen Befunden decken (act. G 1.47 und 48).

    2. Im Beiblatt zum Anmeldeformular wiederholte Dr. C. am 23. Mai 2011 im Wesentlichen die gestellten Diagnosen und gab als weitere Diagnosen einen Status nach Linksherzdekompensation 2008 sowie Schwindel an. Die Versicherte sei seit dem

      17. November 2008 bei ihm in Behandlung. Die kardialen Probleme könnten durch die Einnahme der Medikamente verbessert werden, bezüglich der Demenz und der chronischen Niereninsuffizienz sei eine Verbesserung durch medizinische Massnahmen nicht anzunehmen. Er habe der Versicherten den Eintritt in ein Pflegeheim empfohlen (act. G 3.1.48).

    3. Anlässlich der telefonischen Abklärung vom 20. Juni 2011 gab die Tochter der Versicherten an, die Versicherte sei in den Bereichen Ankleiden/Auskleiden, Körperpflege sowie Fortbewegung auf Hilfe angewiesen. Der entsprechende Bericht wurde von der Tochter am 29. Juni 2011 unterschrieben. Dabei nahm sie Änderungen vor und bejahte die regelmässige Hilfsbedürftigkeit in den Bereichen Essen und Verrichten der Notdurft sowie den Bedarf der ständigen persönlichen Überwachung tagsüber und nachts (act. G 1.8; 3.1.52). Auf telefonische Nachfrage vom 1. Juli 2011 hin gab die Tochter weiter an, die Versicherte benötige beim Essen ab und zu Unterstützung, weshalb sie die Hilfsbedürftigkeit beim Essen bejaht habe. Im Zusammenhang mit der Überwachung habe sie deren Bedarf bejaht, da die meiste Zeit jemand bei der Versicherten sei. Sie könne jedoch zwei bis drei Stunden alleine gelassen werden (act. G 1.7; 3.1.50).

    4. Mit Verfügung vom 6. Juli 2011 sprach die Ausgleichskasse der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen (SVA) eine Hilflosenentschädigung entsprechend einer Hilflosigkeit leichten Grades mit Wirkung ab 1. Januar 2011 zu (act. G 1.6: 3.1.55, 53).

    5. Gegen diese Verfügung vom 6. Juli 2011 liess die Versicherte durch ihren Vertreter am 12. August 2011 Einsprache erheben und die Aufhebung der Verfügung und die Zusprache einer Hilflosenentschädigung mindestens mittleren Grades beantragen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, die Versicherte sei in allen sechs Lebensbereichen auf regelmässige und erhebliche Hilfe angewiesen. Die Versicherte wäre zudem auf 24-stündige Überwachung angewiesen, da sie Schwindelanfälle habe. Sie werde tagsüber nur selten für kurze Zeit alleine im Haus

      gelassen. Nachts werde sie nicht überwacht, sie sei jedoch im Dezember 2010 in der Nacht gestürzt und habe wegen eines Hüftbruchs hospitalisiert werden müssen

      (act. G 1.5; 3.1.62).

    6. In der Folge ersetzte die SVA am 6. September 2011 die Verfügung vom 6. Juli 2011 und sprach der Versicherten mit Wirkung ab 1. Januar 2011 eine Hilflosenentschädigung entsprechend einer Hilflosigkeit leichten Grades und ab 1. April 2011 eine Hilflosenentschädigung entsprechend einer Hilflosigkeit mittleren Grades zu (act. 3.1.70). Zur Begründung führte sie an, die Versicherte benötige seit Oktober 2010 in drei der sechs massgebenden Lebensverrichtungen regelmässige und erhebliche Hilfe. Gemäss neueren Angaben sei ab Januar 2011 die Hilfsbedürftigkeit in einer weiteren Lebensverrichtung ausgewiesen (act. G 1.4; 3.1.68-2/3).

B.

    1. Gegen die Verfügung vom 6. September 2011 erhob der Vertreter der Versicherten am 22. September 2011 erneut Einsprache und beantragte die Aufhebung der Verfügung und die Zusprache einer Hilflosenentschädigung entsprechend einer Hilflosigkeit mindestens mittelschweren Grades mit Wirkung ab Anfang 2009. Dabei wurde im Wesentlichen auf die Begründung in Rahmen der Einsprache vom 12. August 2011 verwiesen. Die Versicherte sei seit mindestens Anfang 2009 und nicht erst seit Oktober 2010 in vier der sechs Lebensverrichtungen auf erhebliche Hilfe angewiesen. Zudem bedürfe sie auch im Lebensbereich Essen seit Jahren der regelmässigen Hilfe und müsse, entgegen den unklaren Angaben der Tochter, seit mindestens 2009 tagsüber ständig überwacht werden (act. G 1.2; 3.2.12).

    2. Am 24. Oktober 2011 teilte der Vertreter mit, die Versicherte habe infolge ihrer Demenz und nun vollständiger Hilflosigkeit am 14. Oktober 2011 ins Alters- und Pflegeheim eingewiesen werden müssen (nicht num. Aktenstück zwischen

      act. G 3.2.13 und act. G 3.2.14).

    3. Mit Einspracheentscheid vom 10. November 2011 wies die SVA die Einsprache ab. Da gestützt auf die Gesetzesänderung erst ab dem Januar 2011 eine Hilflosenentschädigung für eine Hilflosigkeit leichten Grades ausgerichtet werde, sei

der Beginn auf den 1. Januar 2011 angesetzt worden. Die Verschlechterung in der Lebensverrichtung Notdurft sei unter Berücksichtigung der Revisionsbestimmungen nach drei Monaten anerkannt worden. In der Lebensverrichtung Aufstehen/Absitzen/ Abliegen sei die Versicherte gemäss eigenen Angaben erst seit dem Sturz im September 2011 völlig hilflos, davor habe sie lediglich in den ersten Monaten nach dem Hüftbruch Hilfe benötigt. Da die Verfügung Anfang September erlassen worden sei, sei eine Verschlechterung infolge des Sturzes im September als Revisionsgesuch entgegenzunehmen. Bezüglich der Lebensverrichtung Essen könne keine regelmässige und dauernde Hilfe Dritter angenommen werden, da es der Versicherten noch möglich sei, selbst zu essen und ihr nur ab und zu geholfen werden müsse. Schliesslich könne eine Überwachungsbedürftigkeit nicht angenommen werden, da davon ausgegangen werden könne, dass die Versicherte tagsüber nicht permanent überwacht werden müsse (act. G 1.1).

C.

    1. Gegen diesen Einspracheentscheid vom 10. November 2011 richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 22. November 2011. Der Vertreter der Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des Einspracheentscheides und die Zusprache einer Hilflosenentschädigung entsprechend einer Hilflosigkeit mittleren schweren Grades mit Wirkung ab 1. Januar 2010. Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Einsprachen vom 12. August 2011 (act. G 1.5) und 22. September 2011 (act. G 1.2) verwiesen. Der Einspracheentscheid berücksichtige die Aussagen des Vertreters in keiner Weise, sondern stütze sich lediglich auf die unklaren und widersprüchlichen Angaben der Tochter der Beschwerdeführerin, welche den Eintritt in ein Pflegeheim verhindern wolle, da sie fürchte, die Mutter werde dort ungenügend betreut. Die Beschwerdeführerin sei im Lebensbereich Verrichten der Notdurft seit mindestens Anfang 2010 eingeschränkt. In der Lebensverrichtung Essen müsse man ihr seit langer Zeit schon massiv und zeitaufwendig täglich helfen. Die Beschwerdeführerin sei zwar körperlich in der Lage, alleine abzusitzen, aufzustehen und sich hinzulegen, aufgrund von Schwindelanfällen und Orientierungslosigkeit benötige sie dabei aber Hilfe. Diese Schwindelfälle und Orientierungslosigkeit hätten zusammen mit Wahnvorstellungen dazu geführt, dass die Beschwerdeführerin seit

      mehreren Jahren stark überwachungsbedürftig sei. Nur so könne verhindert werden,

      dass sie sich nicht selbst gefährde (act. G 1).

    2. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2011 verzichtet die Beschwerdegegnerin sinngemäss auf eine Beschwerdeantwort (act. G 3).

D.

Mit Schreiben vom 24. Januar 2012 teilt die Beschwerdegegnerin – unter Beilage der Verfügung vom 20. Januar 2012 – mit, dass der Beschwerdeführerin mit Wirkung ab

1. Januar 2012 eine Entschädigung bei schwerer Hilflosigkeit ausgerichtet werde (act. G 5). Der Vertreter der Beschwerdeführerin hat auf Einsicht in die zusätzlich beigezogenen Akten (act. G 7, 8) verzichtet.

Erwägungen:

1.

Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung haben Bezüger von Altersrenten Ergänzungsleistungen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz, die in schwerem, mittlerem leichtem Grad hilflos sind (Art. 43bis Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung [AHVG; SR 831.10] in der seit Januar 2011 gültigen Fassung). Bis zum 31. Dezember 2010 wurde an Bezüger und Bezügerinnen einer Altersrente eine Hilflosenentschädigung erst bei Vorliegen einer Hilflosigkeit mittleren Grades ausgerichtet, wobei die Hilflosigkeit ununterbrochen während mindestens eines Jahres bestanden haben musste (Art. 43bis Abs. 1 und 2 AHVG, in der bis 31. Dezember 2010 gültig gewesenen Fassung). Als hilflos gilt nach Art. 9 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) eine Person, die wegen der Beeinträchtigung der Gesundheit für alltägliche Lebensverrichtungen dauernd der Hilfe Dritter der persönlichen Über­ wachung bedarf.

2.

    1. Mit Entscheid vom 10. November 2011 hatte die Beschwerdegegnerin die Einsprache der Beschwerdeführerin gegen die Verfügung vom 6. September 2011 abgewiesen. Streitig ist vorliegend insbesondere der Grad der Hilflosigkeit sowie der Beginn des Anspruchs der Hilflosenentschädigung. Die Beschwerdegegnerin hatte einen Anspruch auf Entschädigung für leichte ab 1. Januar 2011 und für mittlere Hilflosigkeit ab 1. April 2011 anerkannt.

    2. Für die Bemessung der Hilflosigkeit sind nach Art. 43bis Abs. 5 AHVG die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (IVG; 831.20) sinngemäss anwendbar. Gemäss Art. 37 Abs. 1 der Verordnung über die Invaliden­ versicherung (IVV; SR 831.201) gilt die Hilflosigkeit als schwer, wenn die versicherte Person vollständig hilflos ist. Dies ist der Fall, wenn sie in allen alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und überdies der dauernden Pflege persönlichen Überwachung bedarf. Als mittelschwer ist die Hilflosigkeit nach Art. 37 Abs. 2 IVV zu betrachten, wenn die versicherte Person trotz Abgabe von Hilfsmitteln in den meisten alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist (lit. a) wenn sie in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und überdies einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf (lit. b). Die Hilflosigkeit gilt nach Art. 37 Abs. 3 IVV als leicht, wenn die versicherte Person trotz der Abgabe von Hilfsmitteln in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist (lit. a), einer dauernden persönlichen Überwachung bedarf (lit. b), einer durch das Gebrechen bedingten ständigen und besonders aufwendigen Pflege bedarf (lit. c) wegen einer schweren Sinnesschädigung eines schweren körperlichen Gebrechens nur dank regelmässiger und erheblicher Dienstleistungen Dritter gesellschaftliche Kontakte pflegen kann (lit. d).

    3. Praxisgemäss betreffen die massgebenden alltäglichen Lebensverrichtungen folgende sechs Bereiche: An- und Auskleiden, Auf-stehen/Absitzen/Abliegen, Essen, Körperpflege, Verrichten der Notdurft und Fortbewegung (BGE 121 V 90 E. 3a; Rz 8010 des vom Bundesamt für Sozialversicherungen herausgegebenen Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit [KSIH]). Eine dauernde persönliche Überwachung liegt vor,

wenn eine Drittperson mit kleineren Unterbrüchen bei der versicherten Person anwesend sein muss, weil diese nicht allein gelassen werden kann (vgl. Rz 8035 KSIH).

3.

    1. Die Beschwerdegegnerin hat anerkannt, dass die Beschwerdeführerin beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege und bei der Fortbewegung der Hilfe bedarf, was nicht zu beanstanden ist. Die Beschwerdeführerin machte geltend, sie sei seit Anfang 2009 auch in den Bereichen Essen und Verrichten der Notdurft auf erhebliche und regelmässige Hilfe angewiesen und damit in mindestens vier Lebensverrichtungen hilflos.

    2. Hilflos in einer dieser Lebensverrichtungen ist eine versicherte Person bereits dann, wenn sie für eine Teilfunktion regelmässig in erheblicher Weise auf Dritthilfe angewiesen ist (Rz 8011 KSIH). Erheblich ist die Hilfe gemäss Rz 8026 KSIH, wenn die versicherte Person mindestens eine Teilfunktion einer einzelnen Lebensverrichtung

      nicht mehr, nur mit unzumutbarem Aufwand nur auf unübliche Art und Weise (ZAK 1981 S. 387) selbst ausüben kann wegen ihres psychischen Zustandes ohne besondere Aufforderung nicht vornehmen würde. Indirekte Hilfe von Drittpersonen ist gegeben, wenn die versicherte Person die alltäglichen Lebensverrichtungen zwar funktionsmässig selbst ausführen kann, dies aber nicht, nur unvollständig zu Unzeiten tun würde, wenn sie sich selbst überlassen wäre (ZAK 1984 S. 354, ZAK 1980

      S. 60; Rz 8029 KSIH). Die Hilfe ist regelmässig, wenn sie die versicherte Person täglich benötigt eventuell täglich nötig hat. Dies ist z.B. auch gegeben bei Anfällen, die zuweilen nur alle zwei bis drei Tage, jedoch unvermittelt und oft auch täglich täglich mehrmals erfolgen (ZAK 1986 S. 484; Rz 8025 KSIH).

    3. In der Anmeldung zur Hilflosenentschädigung wurde vermerkt, die Beschwerdeführerin sei in allen sechs massgeblichen Lebensverrichtungen als hilflos zu betrachten. Im Rahmen der telefonischen Abklärung (act. G 1.8) wurde in den Bereichen Essen und Verrichten der Notdurft keine Hilflosigkeit verzeichnet. Der entsprechende Abklärungsbericht wurde von der Tochter in der Folge jedoch dahingehend abgeändert, als sie die Hilfsbedürftigkeit in diesen beiden Lebensverrichtungen sowie die dauernde Überwachung tagsüber und nachts bejahte

4.

    1. Bei der Lebensverrichtung Essen wurde bei der Anmeldung angegeben, die Nahrung müsse zerkleinert respektive das Fleisch kleingeschnitten werden. Im Telefongespräch vom 1. Juli 2011 (act. G 1.7) führte die Tochter aus, die Beschwerdeführerin benötige beim Essen ab und zu Unterstützung, könne aber übliche Speisen selbständig zu sich nehmen und Messer und Gabel noch weitgehend selbst bedienen. Der Aktenage ist darüber hinaus nicht zu entnehmen, dass ihr die Mahlzeiten ans Bett gebracht werden müssten. Als in der Lebensverrichtung Essen als hilflos zu betrachten ist mithin jedoch auch, wer zwar funktionsmässig ohne Weiteres selber essen kann, sich aber, wäre er sich selbst überlassen, aus Gründen eines beeinträchtigten Gesundheitszustands nicht nicht genügend ernähren würde ("indirekte Hilfe"). Der Vertreter der Beschwerdeführerin machte in seinen Einsprachen vom 12. August 2011 (act. G 1.5) und 22. September 2011 (act. G 1.2) geltend, die Beschwerdeführerin wäre ohne Hilfe schon längst verhungert verdurstet. Sie habe bereits einmal wegen Dehydrierung hospitalisiert werden müssen. Man müsse ihr seit mehreren Jahren die Mahlzeiten herrichten, sie zum Essen auffordern, anleiten und sie währenddessen überwachen. Sie könne zwar selbständig Essen zum Mund führen, harte Speisen müssten aber zugeschnitten werden. Gemäss Einsprache vom

      12. August 2011 werden die Mahlzeiten der Beschwerdeführerin zum Teil von der Spitex geliefert und zum Teil von der betreuenden Person hergerichtet. Vor diesem Hintergrund und der von Dr. C. gestellten Diagnose der Demenz ist somit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin unter dem Aspekt der indirekten Hilfe in der Lebensverrichtung Essen als hilflos zu betrachten ist.

    2. Was das Verrichten der Notdurft betrifft, hat die Beschwerdegegnerin eine Hilflosigkeit seit Benützung des Notdurft-Stuhls und damit ab Januar 2011 anerkannt. Die Beschwerdeführerin macht eine Hilflosigkeit mindestens seit Anfang 2010 geltend.

      1. In der Anmeldung wurde die Hilfsbedürftigkeit beim Ordnen der Kleider nach Verrichten der Notdurft, bei der Körperreinigung/Überprüfen der Reinlichkeit sowie die unübliche Art der Verrichtung der Notdurft bejaht. Es wurde angegeben, die Beschwerdeführerin müsse seit 2005 zur Körperreinigung aufgefordert und diese

        überprüft werden, seit ca. 2009 müsse die Reinigung vorgenommen und die Windeln, die sie zur Sicherheit trage, gewechselt werden. Seit Januar 2011 werde ein Notdurft- Stuhl neben das Bett gestellt, welchen die Beschwerdeführerin auch benutze. Im Rahmen der telefonischen Abklärung und der Einsprachen wurde angegeben, dass die Beschwerdeführerin selbständig zur Toilette gehen könne, sie zur Sicherheit jedoch Einlagen/ Windeln trage, welche periodisch gewechselt würden, da die Notdurft manchmal unkontrolliert erfolge. In der Beschwerde wurde ergänzt, dass die Windeln mehrmals wöchentlich nass und verschmutzt seien

      2. Grundsätzlich dürfen Teilfunktionen einer Lebensverrichtung, für welche die versicherte Person unter Umständen bei mehreren Verrichtungen die Hilfe Dritter benötigt, nur einmal berücksichtigt werden (ZAK 1983 S. 72). Eine Ausnahme davon macht die Rechtsprechung hinsichtlich Notdurftverrichtung. Danach gehört zu den Teilfunktionen dieser Lebensverrichtung auch das Ordnen der Kleider (AHI-Praxis 1996

        S. 170). Vorliegend ist somit die geltend gemachte Hilfsbedürftigkeit beim Ordnen der Kleider nach Verrichten der Notdurft zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der in der Anmeldung gestellten Diagnose Dr. C. s, die Beschwerdeführerin leide an einer Urininkontinenz, überzeugen zudem die Angaben betreffend die Vornahme der Reinigung nach Verrichten der Notdurft und Wechseln der Windeln seit 2009. Aufgrund der Aktenlage kann somit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als ausgewiesen betrachtet werden, dass dieser Bedarf an Dritthilfe die Voraussetzungen für die Anerkennung der Hilflosigkeit in dieser Lebensverrichtung bereits, wie geltend gemacht, seit mindestens Anfang 2010 und nicht erst im Zeitpunkt des Aufstellens des Notdurft-Stuhls im Januar 2011 besteht.

    3. Bezüglich des Aufstehens/Absitzens/Abliegens wurde in der Anmeldung geschildert, die Beschwerdeführerin müsse bei Schwindel gestützt und ihr müsse beim Zubettgehen geholfen werden. Im Abklärungsbericht wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin in dieser Lebensverrichtung selbständig und nicht auf Dritthilfe angewiesen sei. In der Einsprache vom 12. August 2011 und in der Beschwerde wurde vorgebracht, die Beschwerdeführerin benötige aufgrund ihrer Orientierungslosigkeit und der Schwindelanfälle Hilfe und man müsse ihr sagen, wohin sie sich setzen und wann sie abliegen solle. Gemäss Rz 8015 KSIH liegt eine Hilflosigkeit in dieser Lebensverrichtung vor, wenn die versicherte Person ohne Hilfe Dritter nicht aufstehen,

      absitzen abliegen kann. Da die Beschwerdeführerin – jedenfalls bis zum Sturz im September 2011, der in der Folge Anlass zu einer Revision gegeben hat - körperlich in der Lage war, alleine abzusitzen, sich hinzulegen und aufzustehen, hat die Beschwerdegegnerin die Hilflosigkeit in dieser Lebensverrichtung im Einspracheentscheid zu Recht verneint.

    4. Der Vertreter der Beschwerdeführerin macht zudem geltend, die Beschwerde­ führerin müsse dauernd überwacht werden. In den Einsprachen vom 12. August 2011 und 22. September 2011 führte er an, die Beschwerdeführerin sei eigentlich auf tägliche, 24-stündige Überwachung angewiesen, da aufgrund von Schwindelanfällen und Orientierungslosigkeit Sturzgefahr bestehe. Sie sei bereits einmal beim nächtlichen Verlassen des Bettes gestürzt. Zudem müsse die Medikamenteneinnahme, das Einsetzen des Hörgerätes und die Körperpflege überwacht und es müsse verhindert werden, dass sie nicht orientierungslos herumirre. Gemäss Rz 8035 KSIH bezieht sich der Begriff der dauernden persönlichen Überwachung nicht auf die alltäglichen Lebensverrichtungen. Hilfeleistungen, die bereits als direkte indirekte Hilfe in einem Bereich der alltäglichen Lebensverrichtung Berücksichtigung gefunden haben, können bei der Beurteilung der Überwachungsbedürftigkeit nicht nochmals ins Gewicht fallen. Um als anspruchsrelevant gelten zu können, muss die persönliche Überwachung eine gewisse Intensität erreichen (Entscheid des Bundesgerichtes vom 31. Januar

      2008, 9C_608/07). Vorliegend hat die Beschwerdegegnerin einen unabhängig von den Lebensverrichtungen bestehenden Überwachungsbedarf zu Recht verneint, zumal die Beschwerdeführerin nach der im Zeitpunkt des Entscheids gegebenen Aktenlage tagsüber einige Stunden alleine gelassen werden könne und auch nachts nicht überwacht werde.

    5. Da die Beschwerdeführerin in fünf der sechs alltäglichen Lebensverrichtungen als hilflos zu betrachten ist, besteht ein Anspruch auf eine Entschädigung für eine mittlere Hilflosigkeit.

5.

    1. Es bleibt zu prüfen, seit wann der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung

      entsprechend einer Hilflosigkeit mittleren Grades besteht.

    2. Gemäss Art. 43 bis Abs. 2 AHVG entsteht der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung am ersten Tag des Monats, in dem sämtliche Voraussetzungen erfüllt sind und die Hilflosigkeit schweren, mittleren leichten Grades ununterbrochen während mindestens eines Jahres bestanden hat. Für den Fall, dass eine versicherte Person den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung mehr als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend macht, schreibt Art. 46 Abs. 2 AHVG vor, dass die Hilflosenentschädigung in Abweichung von Art. 24 Abs. 1 ATSG lediglich für die zwölf Monate ausgerichtet wird, die der Geltendmachung des Anspruchs vorausgehen.

    3. Die Beschwerdeführerin hat sich am 11. Mai 2011 zum Leistungsbezug angemeldet. In Anwendung des Art. 46 Abs. 2 AHVG kann der Auszahlungstermin somit frühestens auf den 1. Mai 2010 festgelegt werden. Demnach musste das Wartejahr nach Art. 43bis Abs. 2 AHVG spätestens im Mai 2009 zu laufen begonnen haben, die Hilflosigkeit musste dann also bestanden haben. Der Vertreter der Beschwerdeführerin machte geltend, es bestünde seit Anfang 2009 eine Hilfslosigkeit mindestens mittelschweren Grades aufgrund einer Hilflosigkeit in den vier Lebensverrichtungen An- und Ausziehen, Körperpflege, Fortbewegung und Essen. Seit Anfang 2010 sei sie auch in der Lebensverrichtung Notdurft und damit in fünf der sechs massgeblichen Lebensverrichtungen hilflos. Das Vorliegen einer mittelschweren Hilflosigkeit im Mai 2009 und damit der Beginn des Wartejahres kann gemäss der Aktenlage und im Sinne der vorstehenden Erwägungen bejaht werden.

6.

Gemäss Schreiben vom 24. Oktober 2011 (nicht num. Aktenstück zwischen

act. G 3.2.13 und act. G 3.2.14) ist die Beschwerdeführerin am 14. Oktober 2011 in ein Alters- und Pflegeheim eingewiesen worden. Aufgrund der durchgeführten Revision hat die Beschwerdegegnerin am 20. Januar 2012 mit Wirkung ab 1. Januar 2012 die Aus­ richtung einer Hilflosenentschädigung bei schwerer Hilflosigkeit verfügt (act. G 5). Dies ist nach der Aktenlage nicht zu beanstanden.

7.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Versicherte mit Wirkung ab 1. Mai 2010 Anspruch hat auf eine Hilflosenentschädigung entsprechend einer Hilflosigkeit mittleren Grades. Der angefochtene Einspracheentscheid vom 10. November 2011 ist demzufolge aufzuheben und die Sache an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit sie deren Leistungshöhe festsetze.

7.1 Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).

Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:

1. In Gutheissung der Beschwerde wird der angefochtene Einspracheentscheid vom 10. November 2011 aufgehoben und der Beschwerdeführerin wird im Sinne der Erwägungen mit Wirkung ab 1. Mai 2010 eine Hilflosenentschädigung wegen mittlerer Hilflosigkeit zugesprochen. Die Sache wird zur Festsetzung der Leistungshöhe an die Beschwerdegegnerin zurückgewiesen.

Quelle: https://www.sg.ch/recht/gerichte/rechtsprechung.html
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